Basisarbeit Kuratiert

von Ronny Hardliz

Braucht es Kunst und Bau? Was macht diese Kunst und wie unterscheidet sie sich von anderer Kunst? Will sie etwas verstehen oder eher behaupten? Wen betrifft sie und wer kümmert sich darum? Wie kommt es dazu? Ist sie messbar- wer misst? Gibt es etwa kunstfreundliche Auswahlverfahren? Ist das Auswahlverfahren bereits Kunst und Bau? Ist Wettbewerb das einzige Paradigma? Was kiregt die Öffentlichkeit mit und wie? An welche Öffentlichkeit richtet sie sich? Wer kommt dadurch mit wem ins Gespräch? Was ist aus dem Prozess und den Gesprächen sichtbar? Wie verändert sich das Werk und seine Wahrnehmung und für welche Dauer? Kann Kunst und Bau bezeugen? Kann Bau auf Kunst verzichten? Oder ist sie eine institutionalisierte Liebesbeziehung?

Wir stellen aus: stellen Sie sich vor, eine vom Pausenplatz einer Schule in den Ausstellungsraum verrückte Brunnenplastik, die hier plötzlich viel zu gross ist. Deplatziert sei sie aber auch schon auf dem Platz – finden manche Lehrer – wenn die Kinder triefendnass aus der Pause ins Klassenzimmer latschen. Lustig, das erste Mal. Das zweite Mal auch noch… Jetzt, nach einem halben Jahrhundert erzwungener Ruhepause, wird Walter Lincks im Jahr 1954 erstellte Brunnenplastik Jeu d’eau restauriert. Nach Erweiterung und Sanierung der Volksschule Bethlehemacker wird sie am ursprünglichen Ort auf den Pausenplatz wieder aufgestellt und in Betrieb genommen. Sie dürfen gespannt sein!

 

Insbesondere, da auf dem Bethlehemacker nach einem Auswahlverfahren bald neue Kunst und Bau entstehen wird. Auf Anregung der Kunstkommission und in Zusammenarbeit mit dem Hochbauamt der Stadt Bern (HSB) werden in mehreren aktuellen Auswahlverfahren Veränderungen erprobt und dadurch neue Wege beschritten: öffentliche Ausschreibung statt Einladung; Kick-Off-Veranstaltung mit gemeinsamem Essen und einem Gespräch über die unterschiedlichen künstlerischen Praktiken der Teilnehmenden; Atelierbesuche bei den Kunstschaffenden und im Architekturbüro mit Gesprächen; Zwischenpräsentation mit Beteiligung aller involvierten Personen; Möglichkeit von spontanen Kollaborationen; offene Kommunikation zwischen den Beteiligten; Schlusspräsentation mit Beteiligung aller; öffentliche Jurierung; Prix du Public; externe FachjurorInnen; zusätzliche FachjurorInnen für die Schlusspräsentation; Einhaltung des Peer-Prinzips Kunstschaffende wählen Kunstschaffende; Möglichkeit der Wahl mehrerer Projekte Dank enger Begleitung; nachträgliche Weiterbegleitung durch alle JurymitgliederInnen; Nachbefragungen; Ausweitung der Verfahrensweisen auf neue Gebiete wie Städtebau, mediale Räume, Forschung oder Transdisziplinarität; Einbezug einer öffentlichen Kunstausstellung, welche Einblick in die Verfahrensweisen gibt. Am letzten Punkt stehen wir nun: eine Ausstellung vom 9. November bis 9. Dezember 2017 in der Stadtgalerie Bern stellt nicht Kunst und Bau-Arbeiten aus, sondern Kunst und Bau-Auswahlverfahren. Die Ausstellung wird Teil des Verfahrens. Wir sind gespannt!

 

Wie werden die Kunstschaffenden ihre Vorschläge präsentieren, wenn die Kunst und die künstlerische Praxis bereits im Auswahlverfahren materiell im Vordergrund stehen? PowerPoint und pdf sind nicht verboten, aber wer zeigt sich schon gern über diese Medien im Ausstellungsraum? Die sonst übliche Seminarraum-Gegenüberstellung wird verschwinden und einem Gespräch mit allen Beteiligten Raum machen, nicht nur über fertige Vorschläge, auch über gezeigte Kunstwerke, Unfertiges und Methoden. Kunstpraxen werden im Zentrum stehen. Im Fokus der Ausstellung werden die Zwischenpräsentation des Kunst und Bau-Projekts für den Erweiterungsneubau Volksschule Pestalozzi, die Schlusspräsentation für den Erweiterungsneubau Volksschule Marzili und die Ausstellungspräsentation des bereits entschiedenen, aber noch nicht umgesetzten Kunst und Bau-Auswahlverfahrens für den Ersatzneubau der Volksschule Kleefeld.

 

Mit dem BAKUB Stadtplan auf der Rückseite dieser Publikation, auf dem die Kunst und Bau-Projekte der Stadt Bern der letzten Jahre eingezeichnet sind, halten Sie so etwas wie eine Schatzkarte in der Hand. Schon nur das Wissen, dass da etwas in der Nähe ist, wird Sie hoffentlich zu einem Besuch anregen. Die meisten in Bern lebenden oder arbeitenden Menschen kennen wohl das eine oder andere Kunst und Bau-Projekt aus dem Alltag. Eine Eigenheit von Kunst und Bau ist, dass sie immer schon da ist, vor Ort. Niemand muss ins Museum, um ihr zu begegnen. Sie ist Teil der Freizeitplanungen von älteren Menschen und Familien. Sie ist nicht nur für das Bildungsbürgertum, es gibt keine Anlässe, keine Events. Deshalb ist sie oft recht unscheinbar. Aber sie ist da, beständig, alltäglich. Ein Grossteil der Öffentlichkeit sucht Kunst und Bau nicht, wird aber trotzdem von ihr angesprochen. Das ist ihre Verwandtschaft mit der Architektur, mit dem Bau, ihre habituelle Gegenwärtigkeit, ihr täglicher, eher haptischer als visueller Gebrauch. In diesem gewöhnlichen Zustand und in ständigem Kontakt mit den Menschen des Alltags vermag sie gesellschaftliche Fragen gewissermassen beiläufig anzusprechen.

 

In diesem Punkt bietet sie manchen Formen der Kunst im öffentlichen Raum ein Modell, ein architektonisches. Wie in einem Schulkorridor kann auch Kunst in einer Strasse den Alltag von Menschen prägen. Vielleicht verlaufen in einer Zeit, in der sich die revolutionäre Zone von der Fabrik und der Strasse immer mehr in die vernetzten privaten Innenräume verlagert, auch die unscheinbaren Trennlinien zwischen privat und öffentlich neu. Vielleicht hat der Stadtraum sein Potential als Bühne echter Tragödien und Komödien verhökert? In Zeiten, in denen Kameras nicht nur sehen, sondern auch schauen, sind die beständigsten künstlerischen Täuschungsmanöver vielleicht vermehrt in Schulhäusern, Verwaltungs- oder Sportbauten zu suchen, an Orten gewöhnlicher öffentlicher Begegnung. Schon ein Augenkontakt ist ein Kontakt, ein Blick auch ein Augenblick. Ein Klang ist nichts ohne Resonanz. Eine handförmige Form schmiegt sich in der Hand.

 

So scheint Kunst und Bau eine suchende Kunst zu sein, nicht eine behauptende. Sie stellt dar und bietet oft eine Bühne zum darstellen, sich darzustellen. Der eingangs erwähnte Brunnen ist eine Plastik im Pausenhof. Aber affektiv und effektiv wird er woanders: im Spiel mit den Kindern und im nassen Schulzimmer. Natürlich kann sich die Kunst vom Bau emanzipieren und ein eigenständiges Leben führen – ohne Bau. Gerade bei Performance-Kunst ist ein post-Kunst-und-Bau-Leben fast so (un-)natürlich wie ein Lebensabschnittspartner. Aber vielleicht findet der Brunnen einen neuen modus operandi, spritzt jeden Tag, wie verrückt, immer dann, wann er will.

 

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Als Basis für die Gespräche in der Ausstellung finden Sie in dieser Publikation Texte von Hans Rudolf Reust zur Öffentlichkeit, wie sich diese verändert und welche Bedeutung neue räumliche Öffentlichkeit für die Kunst allgemein und die Kunst und Bau im Speziellen hat; von Florian Dombois zu den Ähnlichkeiten zwischen Kunst und Bau und Kunst als Forschung gegenüber sogenannt freien Kunstpraktiken und den daraus zu folgernden Forderungen an Jurys; von Martin Beutler zur Zweckgebundenheit von Kunst und Bau und wie andere künstlerische Selbstverständnisse diese nicht nur unterlaufen, sondern in transdisziplinärem Rahmen zu neuen Praktiken und in neue Felder führen; und schliesslich von Alice Henkes dazu wie der Brunnen als Sinnbild für das Gespräch als Sinnbild der Eigenheit dafür gedeutet werden kann, was Kunst und Bau ungeachtet aller Zeiterscheinungen charakterisiert: Kunst und Bau ist ein Ort gesellschaftlicher Begegnung. Viel Vergnügen!

 

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